Inspired by Reger

Moderiertes Konzert des Max-Reger-Instituts am 30. Oktober 2016, 17:00 im Wolfgang-Rihm-Forum Karlsruhe

Programm:

Max Reger: Klarinettenquintett A-Dur op. 146

Acht neu komponierte Variationen über das Thema des vierten Satzes von:

Birke Bertelsmeier
Hans-Henning Ginzel
Cornelius Hirsch
Philipp Maintz
Johannes X. Schachtner
Charlotte Seither
Alexander Maria Wagner
Caspar Johannes Walter

Mitwirkende:

Wolfgang Meyer (Klarinette)

Carmina Quartett:
Matthias Enderle, Susanne Frank (Violine)
Wendy Champney (Viola)
als Gast: Mischa Meyer (Violoncello)

Moderation: Johannes Voit

Aufzeichnung durch SWR 2. Sendetermin: Montag, 21.11.2016 20:03

Die musikgeschichtliche Einordnung Max Regers, insbesondere mit Blick auf die zu Beginn des 20. Jahrhunderts aufkeimenden Tendenzen der Neuen Musik, stellt Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler vor eine schwierige Aufgabe. Sehen die einen sein musikalisches Denken, das eine starke Anbindung an die Tradition aufweist und das tonale System nie verlässt, als tief im 19. Jahrhundert verwurzelt, so werten andere gerade das Ausreizen der modulatorischen Möglichkeiten und die hierdurch erreichte expressive Ausdruckskraft und Wandlungsfähigkeit als Indiz seiner Modernität. So wird Reger mal als Wegbereiter der Neuen Musik, mal als einer ihrer ersten Vertreter und mal als von dieser neuen Strömung isoliert zu betrachtendes Phänomen bezeichnet. Will man den Einfluss ermessen, den Reger auf die weitere Entwicklung der Neuen Musik genommen hat, so lohnt es, sich Äußerungen von Komponistinnen und Komponisten näher anzusehen. Auch hier gehen die Bewertungen naturgemäß weit auseinander. Während sich etwa Igor Strawinsky bekanntermaßen sehr abfällig über Reger und seine Musik äußerte, heben andere Zeitgenossen die Bedeutung von Reger für die Musikgeschichte und ihr eigenes Schaffen hervor. Bekanntheit haben etwa die Zitate von Hindemith und Schönberg erlangt. Bezeichnete der eine Reger als »letzten Riesen in der Musik«, ohne den er nicht denkbar wäre, so urteilte der andere: »Ich übrigens halte ihn für ein Genie«. Wie fruchtbar die künstlerische Auseinandersetzung auch für heutige Komponisten mit der Musik Regers sein kann, lässt sich nach dem Uraufführungskonzert bei den Weidener Max-Reger-Tagen auch bei einem Konzert im Wolfgang- Rihm-Forum Karlsruhe erleben. Im Mittelpunkt des Konzerts steht Regers letztes Werk, das Klarinettenquintett A-Dur op. 146, dessen Uraufführung am 6. November 1916 in Stuttgart der Komponist durch seinen frühen Tod nicht mehr miterleben konnte. Das Variationsfinale, mit dem Reger den ursprünglich geplanten, Fragment gebliebenen vierten Satz ersetzte, wird in diesem Konzert durch eine Reihe zeitgenössischer Reaktionen ergänzt: Acht Komponistinnen und Komponisten wurden beauftragt, jeweils eine Variation zum Thema des vierten Satzes beizusteuern, wobei die Art und Weise der Bezugnahme auf das Regersche Thema höchst unterschiedlich ausfällt. Manfred Trojahn für das Projekt zu gewinnen, lag auf der Hand, hat er doch bereits die Bedeutung von Regers Klarinettenquintett für die Entstehung seines zweiten Streichquartettsmit Klarinette und Mezzosopran aus dem Jahr 1979 im Rahmen einer von Jörn Peter Hiekel für den Leipziger Reger-Kongress im Jahr 2008 durchgeführten Umfrage erwähnt. In Cornelius Hirschs Kompositionen sind Anklänge historischer Musikstile ohnehin stets präsent, was einer der Gründe sein dürfte, warum Hirsch sich Reger »als Komponist […] sehr nahe [fühlt]« (E-Mail an der Verfasser). So wird seine Variation sich stilistisch eng an das Original anlehnen und bruchlos mit dieser zu hören sein. Andere Komponisten spüren eine stärkere Distanz zu Reger, etwa Charlotte Seither, die 2008 feststellte, dass Reger und seine Musik wegen deren Verankerung im 19. Jahrhundert ihr »für [ihr] eigenes Schreiben und Denken […] ausgesprochen fremd« seien. Trotzdem hat sie die Herausforderung angenommen, das Klarinettenquintett um eine Variation zu bereichern, die jedoch durchaus eine ästhetische Distanz zum Original bewahren wird. Ausgangspunkt für ihre Variation ist der Rhythmus des Themas, den sie, stark beschleunigt, in die tiefe Lage der Klarinette legt, um ihn »intraharmonisch« zu bearbeiten, also »die Verschiebungen, die Reger zwischen den harmonischen Funktionen vollzieht, in einen einzelnen Spektralklang zu verlagern und dort aufs Extreme auszureizen« (E-Mail an den Verfasser). Auch Johannes X. Schachtner nimmt ein musikalisches Detail zum Ausgangspunkt einer sehr eigenwilligen auratischen Fortspinnung: Angelehnt an die Idee des Palindroms – der Name »Reger« scheint dazu zu verleiten – verwendet er das musikalische Material der letzten Takte des Klarinettenquintetts sowohl in der Grundgestalt als auch rückwärts, also im Krebs. Dabei interessiert ihn besonders, »wie das umgekehrte Ablaufen von spätromantischen Harmonieprozessen eigentlich kaum mehr als Irritation wahr genommen wird: so ›frei-schwebend‹ und ungebunden ist diese Sprache, die sowieso immer schon kurz davor ist, alle Bindung zum tonalen Zentrum zu verlieren.« (E-Mail an den Verfasser) Welchen Widerhall Regers Musik in den weiteren in Auftrag gegebenen Variationen von Alexander Maria Wagner, Hans-Henning Ginzel, Birke Bertelsmeier und Caspar Johannes Walter finden wird, gilt es am 26. Oktober 2016 im Wolfgang-Rihm-Forum Karlsruhe zu überprüfen. Interpretiert werden die Werke von Wolfgang Meyer und dem Carmina Quartett, die Regers Klarinettenquintett bereits in zahlreichen Konzerten in Deutschland und der Schweiz aufgeführt haben.